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Eine goldene Justitia hat in den Waagschalen je eine Kugel mit dem Symbol eines Rollstuhls und eines Paragrafenzeichens. Dies soll das Thema Barrierefreiheitsstärkungsgesetz visualisieren.

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) – Ein umfassender Leitfaden für Juristen und Notare

14.02.2025

Ab dem 28. Juni 2025 gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das Unternehmen aus verschiedenen Wirtschaftsbereichen (Hersteller, Importeure, Händler und Dienstleister) dazu verpflichtet, ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zugänglich zu machen. Dadurch sollen Menschen mit Behinderungen diese Angebote ohne zusätzliche Hürden nutzen können. Das Ziel des Gesetzes ist es, eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle zu gewährleisten. Das BSFG gilt nicht nur für Produkte oder bestimmte Dienstleistungen, sondern branchenübergreifend für den gesamten elektronischen Geschäftsverkehr zwischen Gewerbetreibenden/Dienstleistern und Privatpersonen (alle Webseiten, Apps, Mails usw.).

Hinweis: Da wir keine Juristen oder Anwälte sind, stellt der nachfolgende Text eine reine Information dar. Wir bieten hier ausdrücklich keine Rechtsberatung an. Sofern es Unklarheiten oder rechtliche Fragestellungen gibt, wenden Sie sich bitte an juristische Fachkräfte.

Zunächst einige Daten und Fakten, welche die Notwendigkeit des Gesetzes verdeutlichen sollen.

Wer ist wie bei der Nutzung von Medien über digitale Endgeräte (Screens) betroffen?

Im Gesetz steht unter § 1 Abs. 1 Zweck und Anwendungsbereich
Zweck dieses Gesetzes ist es, im Interesse der Verbraucher und Nutzer die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen nach Maßgabe der folgenden Vorschriften zu gewährleisten. Dadurch wird für Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gestärkt und der Harmonisierung des Binnenmarktes Rechnung getragen.

Die hier beschriebene Zielgruppe ist größer, wie manch einer denkt. Oder hätten Sie auf dem Schirm, dass Menschen mit einem Tremor Schwierigkeiten haben, wenn Schaltflächen zu dicht beieinander liegen? Daher nachfolgend mal eine nicht vollständige Liste der Menschen, die beim Konsum oder der Nutzung von digitalen Informationen betroffen sind.

Sehbehinderung – Laut dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) lebten im Jahr 2021 in Deutschland etwa 558.725 Menschen mit Sehbehinderungen, darunter:

  • 71.260 blinde Menschen
  • 46.820 hochgradig sehbehinderte Menschen
  • 440.645 sehbehinderte Menschen

Diese Zahlen basieren auf der Schwerbehindertenstatistik und gelten als gesicherte untere Grenze. Der DBSV geht jedoch von höheren tatsächlichen Zahlen aus, da nicht alle Betroffenen einen Schwerbehindertenausweis besitzen.

Zusätzlichen leben in Deutschland rund 3,6 Mio. Menschen mit einer Rot-Grün-Schwäche:

  • Männer: ca. 42 Millionen Gesamtbevölkerung → 8 % betroffen → 3,4 Millionen
  • Frauen: ca. 42 Millionen Gesamtbevölkerung → 0,5 % betroffen → 0,2 Millionen

 

Hörbehinderungen – Nach Angaben des Deutschen Schwerhörigenbundes (DSB) sind etwa 19 % der deutschen Bevölkerung über 14 Jahren hörbeeinträchtigt, was rund 13,3 Millionen Menschen entspricht. Davon sind:

  • 7,514 Millionen leichtgradig schwerhörig
  • 4,681 Millionen mittelgradig schwerhörig
  • 957.600 hochgradig schwerhörig
  • 212.800 an Taubheit grenzend schwerhörig

 

Tremor & Morbus Parkinson – Schätzungen zufolge liegt die Prävalenz des essentiellen Tremors bei etwa 1,33 % über alle Altersgruppen und 5,79 % bei den über 65-Jährigen. Bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 84,4 Millionen Menschen entspricht dies rund 1,12 Millionen Betroffenen.
Zudem leben in Deutschland mindestens 200.000 Menschen, die von der Parkinson-Krankheit betroffen, die häufig mit Tremor einhergeht.
Querschnittlähmung – Schätzungen zufolge leben in Deutschland etwa 140.000 Menschen mit einer Querschnittlähmung, wobei jährlich zwischen 2.300 und 2.500 neue Fälle hinzukommen.

 

Post-Polio-Syndrom (PPS) – Neuere epidemiologische Berechnungen gehen von bis zu 1,2 Millionen PPS-Patienten in Deutschland aus.

Dies sind in Summe 20.184.125 Menschen, die in unterschiedlichen Graden beeinträchtigt sind. An dieser Stelle sei ergänzt, dass bei weitem nicht alle, in dem Maße beeinträchtigt sind, dass eine barrierefrei Informationsvermittlung nötig ist. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland zwischen 7,5 und 8 Millionen Menschen nicht ohne Hilfsmittel die Inhalte von Internetseiten erfassen und verarbeiten können. Dennoch, wenn man diese Zahlenwerk betrachtet, sollte einem klar werden, wie viele Menschen mit einer nicht barrierefreien oder barrierefreundlichen Internetseite, App oder PDF-Dokumenten ausschließt oder Ihnen, zumindest die Verarbeitung der Informationen, unnötig schwer macht.

 

Es gibt für die meisten Berufsgruppen und anwendungsfälle klare Regeln, wer in welcher Form das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zu erfüllen hat. Dieses, zum Teil sehr umfangreiche Regelwerk, haben wir nachfolgen in einer kompakten Form niedergeschrieben.
Es gibt jedoch Berufsgruppen, die im Regelwerk nicht ausdrücklich berücksichtigt werden und es somit unklar ist, ob diese zur Erfüllung des BFSG verpflichtet sind. Dies sind unter anderem Notare* und Anwälte*. Leider haben wir weder von der Bundesrechtsanwaltskammer noch von der Bundesnotarkammer eine Aussage hierzu erhalten. Die Bundesnotarkammer sowie einige der regionalen Kammern sind der Meinung, dass Notare in Funktion eines öffentlichen Amtsträgers nicht zur Erfüllung des BFSG verpflichtet sind.

Wir vertreten jedoch die Auffassung, dass Notare in ihrer Funktion, allen Zielgruppen (insbesondere Bürgern) den Zugang zu Informationen im Internet wie auch in Dokumenten (z. B. PDF-Dateien auf der Website) barrierearm zugänglich machen sollten.
Wer Wert auf eine gute Auffindbarkeit im Web legt, sollte sich auch unter SEO-Gesichtspunkten (Suchmaschinenoptimierung) mit diesem Thema beschäftigen. So werden nicht nur für Google die Inhalte einer Website leichter lesbar, auch bewertet Google eine barrierearme Website

1. Was ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und welches Ziel verfolgt es?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wurde in Deutschland als Umsetzung der EU-Richtlinie (EU) 2019/882 zum European Accessibility Act (EAA) eingeführt. Es soll sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zu bestimmten Produkten und Dienstleistungen erhalten. Das Gesetz tritt am 28. Juni 2025 in Kraft und verpflichtet Unternehmen, ihre Angebote barrierefrei zu gestalten. Es gibt für einige Produkte und Dienstleitungen Übergangsfristen, die im § 38 BFSG nachzulesen sind.

Das Hauptziel des BFSG ist es, eine inklusive Gesellschaft zu fördern, indem Hindernisse in digitalen und physischen Bereichen abgebaut werden. Dies verbessert nicht nur die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen, sondern sorgt auch für eine breitere Marktdurchdringung von Produkten und Dienstleistungen.

 

2. Welche Unternehmen müssen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz erfüllen?

Das BFSG gilt für eine Vielzahl von Unternehmen, insbesondere solche, die digitale und physische Produkte oder Dienstleistungen auf dem deutschen Markt anbieten. Betroffen sind unter anderem:

  • Hersteller, Händler und Importeure bestimmter Produkte wie Bankautomaten, Computer, Smartphones und E-Books.
  • Anbieter von digitalen Dienstleistungen, darunter Online-Shops, Banking- und Buchungsplattformen.
  • Betreiber von Telekommunikations- und Verkehrsdienstleistungen.
  • Unternehmen, die Selbstbedienungsterminals oder interaktive Informationssysteme bereitstellen.

Von der Verpflichtung ausgenommen sind Kleinstunternehmen (weniger als zehn Mitarbeiter und ein Jahresumsatz unter zwei Millionen Euro), sofern sie keine in der Gesetzgebung genannten Produkte oder Dienstleistungen anbieten.

 

3. Welche Maßnahmen sind zu ergreifen, um die Vorgaben des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes zu erfüllen?

Um die Anforderungen des BFSG zu erfüllen, müssen Unternehmen verschiedene Maßnahmen ergreifen, darunter:

Digitale Barrierefreiheit:

  • Websites, Apps und digitale Plattformen nach den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 auf Stufe AA optimieren.
  • Alternativtexte für Bilder, Untertitel für Videos und einfache Navigationsstrukturen bereitstellen.
  • Kompatibilität mit Screenreadern und anderen Assistenztechnologien gewährleisten.

Physische Barrierefreiheit:

  • Selbstbedienungsterminals und Automaten mit barrierefreien Funktionen wie taktilen Tasten oder Sprachsteuerung ausstatten.
  • Verkaufsstellen und Servicebereiche so gestalten, dass sie auch für Menschen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich sind.

Dokumentation und Nachweise:

  • Erstellung einer Konformitätserklärung für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen.
  • Regelmäßige Überprüfungen der Barrierefreiheit durch Audits und Tests.
  • Schulungen für Mitarbeiter zur Sensibilisierung und Umsetzung barrierefreier Standards.

 

4. Warum sollten Unternehmen, die nicht zur Erfüllung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes verpflichtet sind, ihre Website dennoch barrierefrei gestalten?

Auch wenn ein Unternehmen nicht direkt unter das BFSG fällt, gibt es mehrere gute Gründe, barrierefreie digitale Angebote bereitzustellen:

Erweiterung der Zielgruppe:

Barrierefreie Websites sind für alle nutzerfreundlicher und können eine größere Zielgruppe erreichen, darunter ältere Menschen, Menschen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigungen und temporären Einschränkungen.

Verbesserte Benutzerfreundlichkeit:

Strukturierte, gut lesbare und intuitive Websites profitieren nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern verbessern die Nutzererfahrung für alle.

SEO-Optimierung:

Suchmaschinen wie Google bewerten barrierefreie Webseiten oft besser, da diese höhere Usability-Standards erfüllen. Dies führt zu einer besseren Platzierung in Suchergebnissen und kann den Traffic erhöhen.

Image und Unternehmensverantwortung:

Barrierefreiheit zeigt gesellschaftliche Verantwortung und kann das Markenimage positiv beeinflussen. Kunden und Investoren bevorzugen zunehmend Unternehmen mit sozialem Engagement.

Zukunftssicherheit:

Gesetzliche Anforderungen könnten in Zukunft ausgeweitet werden. Wer bereits heute Barrierefreiheit integriert, hat einen Wettbewerbsvorteil und vermeidet spätere Nachrüstkosten.

Fazit

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist ein bedeutender Schritt in Richtung einer inklusiven Gesellschaft. Unternehmen, die davon betroffen sind, sollten frühzeitig Maßnahmen ergreifen, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden. Doch auch nicht verpflichtete Unternehmen profitieren von barrierefreien Angeboten durch eine größere Reichweite, bessere Nutzererfahrung und ein positives Unternehmensimage. Investitionen in Barrierefreiheit zahlen sich langfristig aus und sind ein Zeichen für gesellschaftliche

 

Zuständige Stelle

Die Zuständigkeit für die Begleitung und Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes liegt bei der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit.

Sie ist zentrale Anlaufstelle zu Fragen der Barrierefreiheit für die Behörden sowie nach Kapazität auch für Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

Umfangreiche Informationen und FAQ zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz finden Sie auf folgender Homepage der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit.

Die FAQ spiegeln den aktuellen Wissensstand der Bundesfachstelle Barrierefreiheit wider und werden regelmäßig aktualisiert und erweitert.

 

Weiterführende Links

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung anderer Gesetze

Der Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Web Content Accessibility Guidelines 2.1 (WCAG 2.1)

WCAG 2.1 in deutscher Fassung

WCAG 2.2: Neue Version im Dezember 2024 veröffentlicht

 

*Für einen vereinfachten Lesefluss haben wir in diesem Artikel den Begriff Notar, Anwalt oder Notarassessor verwendet. Angesprochen sind alle Notare und Notarinnen, den Nur-Notariaten und Anwaltsnotariaten sowie deren Anwärter. Ebenso sprechen wir in unserem Beitrag Anwälte, Anwältinnen und Juristen an.